Eintritt der Verjährung eines Pflichtteilsanspruchs bei Irrtum über die Unwirksamkeit des Testaments
Ein Irrtum über die Unwirksamkeit des Testaments kann dazu führen, dass die Verjährungsfrist iSd § 195 BGB nicht beginnt.
Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 2. März 2023 (Az.: I-10 U 108/21) entschieden, dass die erforderliche Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung fehlen kann, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger ist das einzige Kind des Erblassers aus dessen geschiedener ersten Ehe. Der Erblasser verstarb 2015. Nach dessen Tod, stritten die Parteien um Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Der Erblasser war in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Der Erblasser errichtete am 2. Juni 2003 und am 13. April 2007 Testamente, in welchen er den Kläger, seinen einzigen Sohn, zu seinem Alleinerben einsetzte. Am 11. Februar 2009 errichtete der Erblasser ein Testament, in welchem er die früheren Testamente ausdrücklich widerrief, und setzte die Beklagte, seine zweite Ehefrau, als Alleinerbin ein.
Der Kläger wurde durch die Beklagte unmittelbar nach dem Tod des Erblassers von dessen Versterben in Kenntnis gesetzt. Am 4. August 2015 erfuhr der Kläger von dem letzten Testament.
Am 7. Juni 2016 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben auswies. Er war der Meinung, dass das neue Testament vom 11. Februar 2009 infolge der fortschreitenden Demenz und einer damit einhergehenden Testierunfähigkeit seines Vaters, unwirksam sei. Die Beklagte beantragte am 4. September 2017 ebenfalls einen Erbschein, welcher sie als Alleinerbin auswies, mit der Begründung sie sei aufgrund des Testaments vom 11. Februar 2009 Alleinerbin geworden. Das Amtsgericht erachtete die zur Begründung des Antrags der Beklagten erforderlichen Tatsachen für festgestellt. Es sah die von dem Kläger geschilderten Tatsachen als nicht ausreichend für die Annahme einer Testierunfähigkeit an.
Der Kläger legte hiergegen Beschwerde ein, der das Amtsgericht nicht abhalf. Das OLG Hamm holte dann im Beschwerdeverfahren ein schriftliches Gutachten zur Frage der Testierfähigkeit ein. Dieses bestätigte die behauptete Testierunfähigkeit nicht. Daraufhin nahm der Kläger seine Beschwerde zurück und verlangte von der Beklagten Auskunft über den Nachlass und Zahlung des sich daraus ergebenden Pflichtteil.
Am 28. Dezember 2019 machte er dann im Wege der Stufenklage seine Pflichtteilsansprüche gerichtlich geltend. Die Beklagte machte die Einrede der Verjährung geltend und berief sich auf ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Kläger.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Klage sei unbegründet, da der geltend gemachte Anspruch verjährt sei. Gemäß § 195 BGB verjähren sämtliche Pflichtteilsansprüche in drei Jahren. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Frist mit dem Schluss des Jahres, indem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Das ist in diesem Fall der Eintritt des Erbfalls und das ihn enterbenden notarielle Testament zu Gunsten der Beklagten. Die 3-Jahresfrist habe mit Schluss des Jahres 2015, nach Kenntnis vom Erbfall, zu laufen begonnen.
Der Kläger legte Berufung ein. Er war der Meinung, dass das Landgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen habe. Es habe unzutreffend angenommen, dass der Kläger im Jahr 2015 Kenntnis vom Bestehen seines Pflichtteilsanspruch gehabt habe. Bis zum Abschluss des Erbscheinsverfahren und des Beschwerdeverfahren habe er grade keine sichere Kenntnis aller tatbestandlichen Voraussetzungen gehabt. Er sei aufgrund der schweren Demenz seines Vaters von der Unwirksamkeit des letzten Testaments ausgegangen. Er führte aus, dass er erst am 25. August 2019 mit dem Zugang des Sachverständigengutachtens Kenntnis davon erlangen konnte, dass eine fehlende Testierfähigkeit nicht sicher festzustellen war. Die Frist habe daher mit Schluss des Jahres 2019 zu laufen begonnen. Die Beklagte trug vor, die Kenntnis vom Tod des Vaters und des Testaments vom 11. Februar 2009 habe die Frist im Jahr 2015 in Gang gesetzt. Der Kläger habe von einer grundsätzlichen Testierfähigkeit ausgehen müssen.
Nun hat das OLG Hamm entschieden. Die Berufung ist erfolgreich, weil die Voraussetzungen für den Pflichtteilsanspruch gemäß § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegen. Unstreitig ist der Kläger gemäß § 2303 BGB als Abkömmling des Erblassers pflichtteilsberechtigt. Die Beklagte ist aufgrund des Testaments vom 11. Februar 2009 Alleinerbin geworden. Das OLG führt weiter aus, dass der Pflichtteilsanspruch nicht verjährt ist. Der Kläger habe vom Tod des Erblassers und der letztwilligen Verfügung vom 11. Februar 2009 im Jahr 2015 Kenntnis erlangt. Dennoch ist die dreijährige Verjährungsfrist nicht bereits mit dem 31. Dezember 2018 abgelaufen. Der Kläger hat erst mit dem Gutachten Kenntnis von der Wirksamkeit des Testaments erlangt. Die Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte den wesentlichen Inhalt der beeinträchtigenden Verfügung erkannt hat. Wenn der Berechtigte einem Tatsachen- oder Rechtsirrtum über diese Verfügung unterliegt, kann dies fehlen. Dies gilt, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Die Tatsache, dass das Oberlandesgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hat, zeigt dass hier berechtigte Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bestanden. Erst mit Ausräumung der Zweifel, ist von Kenntnis der beeinträchtigenden Verfügung und Beginn des Laufes der Verjährungsfrist auszugehen. Das war hier erst kurz vor der Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche der Fall. Damit waren diese nicht verjährt.
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